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‹ alle Blogartikel anzeigen24. Oktober, 2017 — Willkommen in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek – Vor 10 Jahren wurde sie wiedereröffnet
Die Wiedereröffnung der restaurierten Herzogin Anna Amalia Bibliothek vor 10 Jahren am 24.10.2007 ist Anlass, drei am Wiederaufbau federführend Beteiligte zu befragen.
Die Vorsitzende der GAAB Annette Seemann sprach mit:
Walther Grunwald, Berlin, Architekt, der die Restaurierung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek nach dem Brand, geplant und geleitet hat.
Michael Knoche, Weimar, Direktor der HAAB von 1991–2016, der die Verluste der Bestände und gravierenden Schäden des Gebäudes möglichst schnell heilen wollte.
Hellmut Seemann, Weimar, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, Bauherr der Restaurierung der Herzogin Anna Amalia BibliothekAS: Erschien Ihnen Ihre Aufgabe, nach dem Brand Anfang September 2004 bis zum 24.10.2007 die Restaurierung des stark beschädigten Gebäudes fertig zu stellen, damals als realistisch oder eher utopisch?
WG: Realistisch-utopisch, beides, es gab keine Alternative. Wir waren in eine Situation ohne Präzedenzfall geworfen worden. Es war buchstäblich, als ob die Bibliothek von Alexandria abgebrannt gewesen wäre. Wir haben gesagt, wir machen es und wir haben es gemacht.
MK: Als sportlich! Ich habe es aber begrüßt, dass Hellmut Seemann, der Präsident der Klassik Stiftung Weimar, das Datum schon sehr früh genannt hat, sodass alle Kräfte angespornt waren, den Termin auch zu halten. Nachdem das Studienzentrum am 5. Februar 2005 trotz Brand pünktlich eröffnet werden konnte, war ich optimistisch.
HS: Weder noch. Aber ich fand die Perspektive, die Bibliothek wiederherstellen zu können, angesichts der Katastrophe einfach tröstlich.
AS: Gab es damals in Weimar einen gemeinsamen Geist, der all diese schwierigen Abstimmungsprozesse trug, oder mussten sie stark kämpfen?
WG: Vorher war es schwierig, Baudenkmalpflege und wir vom Bau waren unvereinbar, wir planten ja schon die Restaurierung, aber nach dem Brand war alles radikal neu. Einfach sachlich. Und ich resümiere: menschlich und beruflich – nie wieder vorher und nachher waren wir alle, die beteiligt waren so gut … und werden es nie wieder sein. Da war ein gemeinsamer Geist, ja. Einige DIN-Vorschriften wurden teils mit einem Augenzwinkern beiseite gewischt, weil es manchmal nicht anders ging. Der beinahe folgenschwerste Versuch uns zu blockieren, war die Sache mit den grünen Fliesen, die den Namen Grünes Schloss begründen. Sie waren nicht DIN-rutschfest. Dann sagte Hellmut Seemann: »Ich unterschreibe.« Dann ging es.
MK: Man musste schon stark kämpfen. Aber ich empfand den gemeinsamen Geist als sehr stark. Alle Beteiligten fühlten sich durch die gemeinsame Aufgabe zusammengeschweißt. Vor allem war das Klima auf Seiten der Politik ein völlig anderes als vor dem Brand, als immer neue Probleme hinsichtlich der geplanten Sanierung des Gebäudes aufgetürmt worden waren.
HS: »Gemeinsamer Geist« scheint mir doch etwas zu verklärend formuliert, denn natürlich gab es auch das Übliche: Verdacht, Gerücht, Vorwurf. Aber es gab eine breite Welle von Solidarität, die Grenze zwischen dienstlich und ehrenamtlich spielte eine Zeit lang keine Rolle mehr. Man war einfach Teil einer Rettungsaktion.
AS: Was war das Beeindruckendste für Sie in der drei Jahre währenden Restaurierung des Gebäudes?
WG: Die vielen denkmalpflegerischen Befunde. Am berührendsten für mich: Als wir den Aufzug abgeteuft hatten, konnten wir an dieser Stelle (Nordwand des Renaissanceschlosses, Anschluss zum Coudray-Bau) die beiden Tondi der Fassadenmalerei sehen, die das gesamte Gebäude in der Renaissance-Zeit aufwies. Ich war überwältigt; ich habe geheult.
MK: Das überwältigendste Erlebnis war die Hilfsbereitschaft durch viele unbekannte Menschen und ganze Gruppen wie Schulklassen, Strafgefangene der Haftanstalt Hohenleuben oder Freunde der HAAB in Amerika. Da gäbe es noch viele andere Beispiele zu nennen …
HS: Wenn ich die Frage auf das Gebäude beziehe, war für mich erstaunlich, dass ich erst im Moment dieser wahnsinnigen Zerstörung die Großartigkeit des historischen Gebäudes begriff.
AS: Ist die »neue alte« Herzogin Anna Amalia Bibliothek besser als die alte? Wenn ja, warum?
WG: Die »neue alte« ist viel besser. Ich kannte die alte zuvor, man konnte nur zwei Meter weit hinein in den Rokokosaal. Heute ist er ganz betretbar, und Weimar wäre ohne diesen Höhepunkt gar nicht mehr denkbar. Und das, was man nicht sieht, die technische Ausrüstung, ist ultramodern. Ein Beispiel: Der Renaissancesaal im Erdgeschoss war als solcher unkenntlich, ein Null-Raum. Selbst die Gewölbekonsolen waren nicht wahrnehmbar. Dort war der Katalog untergebracht, da war die Ausleihe, ein winziger Tresen.
MK: Die Bibliothek wurde durch den Brand stark verändert, ob sie besser oder schlechter wurde, kann ich nicht sagen. Für mich als Bibliothekar ist die große Einbuße an historischen Buchbeständen der schmerzlichste Verlust. Aber der realen Kapitalvernichtung, die die Bibliothek erlitten hat, folgte glücklicherweise ein Zuwachs an symbolischem Kapital, an Bekanntheit, Renommee und Anerkennung.
HS: Ich verwende jetzt ein Bild: Für mich war die Bibliothek bis dahin eine ehrwürdige, aber hutzelige alte Dame. Plötzlich erkannte ich, dass es sich um eine rasante Aristokratin, eine echte Lady, handelte.
AS: Möchten Sie noch einen eigenen Akzent setzen, abseits meiner Fragen?
WG: Der Ansatz von Dr. Laube, dem Bibliotheksdirektor seit einem Jahr, das Gebäude immer neu denken zu wollen, beeindruckt mich. Das Sichtbarmachenwollen neuer Entdeckungen am und im Gebäude. Der Zusammenhang der Baugeschichte und der Sammlungsgeschichte ist sein Thema. Eine permanente Inspiration.
MK: Der Brand war für mich auch ein markanter biographischer Einschnitt. Die Ereignisse in meinem Leben habe ich seither eingeteilt in Ereignisse vor dem Brand und solche danach.
HS: Die Wiederauferstehung des historischen Bibliotheksgebäudes ist sicher für mich das schönste Erlebnis meiner Präsidentschaft gewesen, so viele schöne Ereignisse es auch sonst und immer wieder gegeben hat. Wenn ich heute nach zehn Jahren darauf zurückblicke, fehlt einer aus dem damaligen Kreis der direkt Beteiligten besonders: Dr. Thomas Bahr. Kompetenz, Bescheidenheit und Durchsetzungsstärke machten den Verantwortlichen des zuständigen Thüringer Ministeriums zum Mitstreiter; seine Verdienste sind unvergessen.
AS: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.
Annette Seemann Vorsitzende der GAAB