Teil der Globensammlung der »Herzogin Anna-Amalia Bibliothek«

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  • 18. Oktober, 2021 — Ein Jahr Volontärin in der HAAB

    • Im Büro

    Seit einem Jahr bin ich Weimarerin, studiere berufsbegleitend das Fach »Bibliotheks- und Informationswissenschaften«, die Hälfte des Volontariats ist vergangen und wie selbstverständlich laufe ich durch die historischen Räumlichkeiten genau wie durch das modern ausgestattete Tiefmagazin unter dem Platz der Demokratie, von dessen Existenz ich bei meinem ersten Besuch in Weimar nicht einmal ahnte und von dem ich heute umso freudiger jedem Familienbesuch beim obligatorischen Stadtrundgang erzähle.

    Verwunderlich ist es nicht, dass die Zeit scheinbar so rasend schnell vergeht, denn hier an der Bibliothek ist für mich kein Tag wie der andere. Als Volontärin absolviere ich eine zweijährige Ausbildung, die mich auf den Beruf der wissenschaftlichen Bibliothekarin vorbereiten soll. Die Aufgaben sind sehr vielseitig: Fachbücher erwerben, klassifizieren, in die bestehende Bücherordnung einfügen und damit die Forschungsliteratur immer auf dem neuesten Stand halten. Im ersten Jahr in der HAAB habe ich Einblick in die vier Abteilungen der Bibliothek erhalten: Medienbearbeitung, Benutzungsdienste, Bestandserhaltung und Digitalisierung. Überall wurde ich herzlich aufgenommen und immer wieder zum Nachfragen ermuntert. Mehr und mehr verstand ich Aufgaben und Zusammenhänge. Trotzdem fällt es mir bis heute schwer, auf Nachfrage bei Freunden und Familie zu beschreiben, was ich denn da nun eigentlich in dieser berühmten Bibliothek mache. Eine Frage, auf die meine Antwort jeden Tag anders lauten könnte. Wo fängt man da an zu erklären?

    Ich probiere es an dieser Stelle mal mit einem beispielhaften Einblick in einen – für Volontariatsverhältnisse – ganz normalen Tag:
    Dieser Arbeitstag beginnt um 10 Uhr am Mitarbeitereingang zum Studienzentrum. So nennt sich der Gebäudekomplex aus Stadtschlössern des 16. – 18. Jahrhunderts, in dessen Mitte sich der moderne Bücherkubus einfügt. Den beeindruckenden Neubau, dessen Architektur mich täglich wieder begeistert, durchquere ich in der morgendlichen Stille. Noch sind nur wenige frühe Leser da, die wie gewohnt ihre Tageszeitung in den gemütlichen Ledersesseln studieren. Oft finden hier abendliche Lesungen und Vorträge statt, die den Forschungscharakter der Bibliothek unterstreichen und für mich eine schöne Verbindung zwischen den historischen Büchern im unterirdischen Magazin und der aktuellen Forschung herstellen.

    Den Vormittag verbringe ich an diesem Tag an meinem Arbeitsplatz im kleinen Seitentrakt des sogenannten Roten Schlosses, quasi dem nördlichsten Ende des Studienzentrums. Zunächst beantworte ich einige E-Mails. Anschließend prüfe ich den Twitter-Kanal, der neuerdings zum Bereich der Öffentlichkeitsarbeit der Bibliothek gehört, auf Nachrichten. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist seit März dieses Jahres auch in diesem Medium unterwegs, um ihren »Followern« Einblicke in die Sammlungen und in bibliothekarische Arbeiten zu gewähren, von denen man sonst kaum etwas mitbekommt. Diese Vermittlungsarbeit macht mir sehr viel Spaß. Hier wird mein noch »frischer Blick« auf das Alltagsgeschäft geschätzt. Gleichzeitig lerne ich viel über die Sammlungen und in den regelmäßigen Treffen im Team mit dem Direktor noch so einiges über strategische Öffentlichkeitsarbeit. Mittlerweile ist es 10:50 Uhr. Um 11 Uhr bin ich zur Sacherschließung verabredet. In der HAAB wird noch jedes erworbene Buch in die Hand genommen, bevor es im Tiefmagazin oder im Freihandregal der Lesebereiche seinen Platz findet. Zusammen mit der Kollegin gehe ich Titel und Inhaltsverzeichnisse durch, versuche die treffendsten Schlagwörter zu finden und gebe den Büchern, die für den Freihandbereich – sozusagen das Selbstbedienungsregal – vorgesehen sind, die passende Signatur. Nur durch diese Arbeiten gelingt es, die Bücher so zu verzeichnen und aufzustellen, dass die Benutzer im Katalog oder beim Stöbern im Regal die benötigte Literatur zuverlässig finden können.

    Um 14 Uhr bin ich mit meiner Kollegin in ihrem Büro im historischen Bibliotheksgebäude verabredet. Deshalb überquere ich den Platz der Demokratie, unter dessen Kopfsteinpflaster sich das Tiefenmagazin befindet, in dem rund eine Million Bücher untergebracht sind. Vorbei an den Besuchern, die auf den Einlass in den berühmten Rokokosaal warten, erklimme ich die Treppen in den nicht öffentlich zugänglichen zweiten Stock und laufe unbemerkt über den Köpfen der Touristen hinweg auf die andere Gebäudeseite. Vorbei an Büsten und Büchern aus dem 19. Jahrhundert auf der ersten Galerie des Saals begebe ich mich auf die Nordseite in den sogenannten Goethe-Anbau. Dort erwarten mich meine Kollegin und eine Mitarbeiterin der Bibliothek, die gerade die Verwendung von Nanocellulose in der Papierrestaurierung erprobt. Meine Kollegin und ich sollen das Thema in einem Blogbeitrag der Bibliothek auch einem größeren öffentlichen Publikum verständlich machen, ohne durch Kürzen oder Umformulieren etwas Falsches zu transportieren. So lassen wir uns genau die Verfahren und biologischen Grundlagen erläutern, damit wir den Text gemeinsam mit der Autorin auf ein ausgewogenes Verhältnis von fachlicher Korrektheit und ansprechender Gestaltung bringen können. Auf dem Rückweg – es ist jetzt schon 16 Uhr – wieder vorbei an den Klassikern und durch die Regalreihen, die Goethe in seiner Zeit als Direktor hat aufstellen lassen, um die von ihm in Massen gekauften Bücher in dem begrenzten Raum unterbringen zu können, kann ich nicht anders, als mir selber dazu zu gratulieren, was für einen einzigartigen Arbeitsplatz ich ergattert habe. So vielfältig wie dieser kann doch kaum ein anderer Beruf sein. Und dabei ist der Tag noch nicht vorbei.

    Um 17 Uhr löse ich die Kollegin an der Ausleihtheke ab. Bis 20 Uhr gebe ich Auskünfte, nehme Bücherrückgaben an oder überreiche Lesern ihre Bestellungen. Besonders gerne erinnere ich mich an eine Benutzerin, die nach Literatur zum Thema »Kochen im 18. Jahrhundert« suchte. Gemeinsam fanden wir über den Online-Katalog die passenden Titel, von denen ich die vielversprechendsten gleich für den nächsten Tag bestellte. Ich spürte, wie glücklich die Leserin über meine Hilfe war, und mir war es eine Freude, ihr behilflich sein zu können. Ich freue mich sehr über diesen Kontakt zu unseren Lesern, bei dem auch kleine Hilfeleistungen mit großem Dank und oft sichtbarer Freude vergütet werden. Nach dem monatelangen Lockdown, in dem mir nicht nur der Kontakt zu den Kollegen, sondern auch der zu den Nutzern fehlte, war es umso schöner, Ende Mai endlich wieder an der Ausleihe arbeiten zu können und vor Augen geführt zu bekommen, für wen all die verschiedenen Arbeiten im Hintergrund eigentlich gemacht werden.
    Es gefällt mir auch, die oft zögerlich eintretenden touristischen Besucher willkommen zu heißen und sie einzuladen, das Erdgeschoss des Studienzentrums zu erkunden. Dass sie so ohne Weiteres eintreten dürfen, können viele kaum glauben und bedanken sich gleich mehrmals herzlich dafür.
    Dabei ist es für mich, wie für die vielen anderen Kollegen, selbstverständlich, diesen wunderschönen und ganz besonderen Ort mit ihnen zu teilen. Vielleicht wird mit jedem solcher Kontakte wie auch mit jedem gelesenen Tweet oder Blogbeitrag nach und nach verstanden: Die Bibliothek ist ein unheimlich vielseitiger Ort, an dem längst nicht mehr nur andächtiges Schweigen herrscht. Es entstehen zunehmend Plätze, an denen konzentriert gearbeitet, aber auch geredet und gelacht werden kann.

    Die Hälfte meines Volontariats in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek liegt hinter mir. Ab jetzt werde ich mich eigenständigen Projekten widmen und meine Abschlussarbeit für das Studium schreiben. Ich bin mir fast sicher, das zweite Jahr in Weimar wird noch schneller vorüberfliegen als das erste. Langweilig wird es bestimmt nicht!

    Johanna Seidt Volontärin in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek