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‹ alle Blogartikel anzeigen29. August, 2021 — Ein Freundschaftsalbum über eine ganz besondere Hochzeitsreise im Jahre 1857. Neuerwerbung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar
Zur Erinnerung an unsere Hochzeitsreise, als Zeichen, daß wir deiner gedachten, nimm dies Büchlein, als ein Pfand unserer innigsten Liebe.
den 24. Dezember 1857 Auguste Kochhann, geb. HoffmeisterDiese Zeilen finden sich auf der ersten Seite eines kleinen Buches, dass die Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf der diesjährigen Stuttgarter Antiquariatsmesse erworben hat. Das Buch im roten Halblederband mit reicher Gold- und Blindprägung und dreiseitigem Goldschnitt ist gerade einmal 10cm x 16,5 cm groß. Es hat die Form eines Freundschaftsalbums und war offenbar auch als solches gedacht. Der Widmung nach zu schließen, haben es die frisch Vermählten auf ihrer Hochzeitsreise für einen Freund gefüllt »als Zeichen, daß wir deiner gedachten«. Wer dieser jemand gewesen ist, darüber gibt das Buch leider keine Auskunft. Das Geschenk wurde offenbar zu Weihnachten 1857 überreicht.
Johanne Auguste Hoffmeister war gerade 21 Jahre, als sie den 27-jährigen Kaufmann Emil Heinrich Kochhann in Berlin heiratete. Sie stammte ursprünglich aus der wendischen Lausitz. Kochhanns Familie war 1732 nach Berlin gekommen, wo sie zunächst als Bäcker arbeitete und sich zunehmend auch in der Kommunalpolitik engagierte. Kochhahn selbst war Mitglied des Reichstages und später ehrenamtlicher Berliner Stadtrat.
Das Besondere an diesem Freundschaftsalbum ist, dass Auguste und Emil Heinrich Kochhahn es nicht nur mit Gedichten und Texten von Schiller, Eichendorff, Lenau, Schilling, Hoffmann von Fallersleben und anderen Dichtern füllten. Zwischen diesen Seiten finden sich auch Blüten, Moose, Farne und Blätter von den Orten, die sie auf ihrer Reise besuchten. Dank kleiner Notizen am Rand kann man noch heute nachvollziehen, wann und wo sie die Pflanzen gepflückt haben.
Die Reise ging über die Schweiz nach Italien. Die erste Station führte in den Schwarzwald. Auf der »Fahrt durch das Höllenthal« sammelten sie die ersten Pflanzen und klebten sie in ihr Buch. Weiter ging es zum »Rheinfall bei Schaffhausen« und von dort nach Zürich. Den Farnen vom Vierwaldstättersee folgt ein Auszug aus der ersten Szene des ersten Aktes von Schillers Wilhelm Tell, der am »Hohe[n] Felsenufer des Vierwaldstättensees« beginnt. Zitiert ist das Lied des Fischerknaben: »Es lächelt der See, er ladet zum Bade, / Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, / Da hört er ein Klingen, / Wie Flöten so süß, / Wie Stimmen der Engel / Im Paradies […]«. Daneben steht das Lied des Hirten und zwei Blatt weiter das Lied des Alpenjägers.
Ein Blumenzweig aus Interlaken, Moos und Blätterstengel mit kleinen Blüten aus Vevey und Montreaux sowie Pflanzen aus Lausanne, gepflückt »an einem herrlichen Sonntagmorgen«, geben einen Einblick von ihrer weiteren Reise durch die Schweiz. Dem Ausflug zum Schloss Hauteville bei Vevey »gepflückt an einem schönen Abende« wird eine eigene Seite gewidmet mit einer wunderschönen großen Blüte und einem zierlich verästelten Blatt.
Von der Schweiz aus kommen Auguste und Emil Heinrich Kochhann nach Italien. Der »Eintritt in Italien« wird mit einem Blumenzweig dokumentiert. An die Reise von Domodossola zum Lago Maggiore erinnert ein Kleeblatt und ein Farn: »Zur Erinnerung an das schöne Thal von Domo Dossola als wir im Vollmondschein an den Lago maggiore [!] kamen.« Diesem Eintrag folgt das berühmte Gedicht Mondnacht von Eichendorff: »Es war, als hätt‹ der Himmel / Die Erde still geküßt, / Daß sie im Blüthenschimmer / Von ihm nun träumen müßt.« Am Lago Maggiore besuchen sie auch die Isola Bella, von wo sie einen Zweig mitnehmen, und kommen schließlich an den Comer See, wo sie »in seinen herrlichen Villen« einen Farn pflücken. Das ist der letzte Eintrag in diesem ganz besonderen Hochzeitsreisetagebuch.
Der Link zum Digitalisat: https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:32-1-10034568487
Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek