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  • 23. Oktober, 2022 — Einblattdrucke in der HAAB und ihre Geschichte – Folge 2: Die Bestie des Gévaudan

    Die zweite Folge über Einblattdrucke der HAAB handelt von schaurigen Ereignissen, die sich zwischen 1764 und 1767 in der historischen Provinz Gévaudan in Südfrankreich zugetragen haben. Zahlreiche Einblattdrucke aus dieser Zeit beschreiben und illustrieren die Überfälle eines bis heute nicht eindeutig identifizierten Raubtiers, dem je nach Quelle zwischen 128 und 179 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Mindestens 80 von ihnen starben, während die übrigen durch die Attacken der Bestie zum Teil schwer verletzt wurden. Drei Viertel der Opfer waren nicht älter als 16 Jahre und bei den älteren handelte es sich durchweg um Frauen. Die Ereignisse sind noch heute Gegenstand von Büchern, Zeitschriftenartikeln, Kinofilmen und Fernsehdokumentationen. Was war geschehen?

    Im Frühjahr 1764 wurde zunächst eine Kuhhirtin in der Nähe Dorfes Langogne angegriffen. Sie konnte sich noch verletzt retten, aber im Juni desselben Jahres erlag eine 14-jährige den schweren Verletzungen, die ihr die Bestie beigebracht hatte. Das Mädchen gilt als ihr erstes behördlich registriertes Opfer. In den folgenden Wochen und Monaten kam es zu vielen weiteren Angriffen mit Dutzenden Verletzten und Toten, woraufhin Hirtenkinder nur noch in Gruppen losziehen durften.

    Doch davon ließ sich das Raubtier nicht abschrecken und allmählich machte sich in der Bevölkerung der Gegend Panik breit. Weder einheimischen Jägern noch einer ganzen Dragonereinheit, die im November 1764 ausgesandt wurden, gelang es, das Untier zu erlegen. Spätestens nachdem eine Treibjagd mit 20.000 beteiligten Jägern, Soldaten und Treibern Mitte des Jahres 1765 erfolglos verlief, wuchs sich die Angelegenheit zu einem ernsthaften Prestigeproblem für den französischen König Ludwig XV. aus.

    Mittlerweile wurde in ganz Europa von den Geschehnissen im entlegenen Gévaudan berichtet. Dabei musste der König einigen Spott ertragen, da es ihm offensichtlich nicht gelang, ein Tier zur Strecke zu bringen, das seine Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte. Die auf die Ergreifung der Bestie ausgesetzte Belohnung summierte sich mittlerweile auf 9000 Livres. Zum Vergleich: Ein Taglöhner verdiente zu jener Zeit etwa eine Livre am Tag!

    Um der Sache ein Ende zu bereiten, schickte der König im Sommer 1765 den zweiten königlichen Jäger Francois Antoine zusammen mit 14 Schützen und fünf Jagdhunden in das Gebiet. Antoine gelang es im September 1765 tatsächlich, einen besonders großen Wolf zur Strecke zu bringen und wenig später die Belohnung einzustreichen. Offiziell für tot erklärt, setzte die Bestie jedoch bald ihre Angriffe fort und erst im Juni 1767 erschoss der einheimische Jäger Jean Chastel ein männliches Raubtier, nach dessen Erlegung endlich wieder Ruhe im Gévaudan einkehrte.

    Die HAAB besitzt zwei Einblattdrucke, die von den Ereignissen berichten und vermutlich noch vor der großen erfolglosen Treibjagd im Jahr 1765 entstanden sind. Auf beiden Blättern wird als Zeitpunkt des Beginns der Geschehnisse nicht Juni, sondern September 1764 angegeben. Das erste Blatt wurde in Augsburg nach einer französischen Vorlage gedruckt. Es zeigt im Bildteil ein langhaariges Phantasiewesen sowie drastische Darstellungen von den Angriffen des Tiers. Der beigegebene Text enthält nur wenige darüberhinausgehende Informationen, erwähnt wird aber noch eine Belohnung von 2700 Livres auf die Ergreifung der Bestie. Da diese Summe bis Mitte 1765 schrittweise auf 9000 Livres anwuchs, ist der Einblattdruck vermutlich schon gegen Ende des Jahres 1764 entstanden.

    Das zweite Blatt ist offenbar ein paar Monate später gedruckt worden. Am Ende des ausführlichen Textes ist zu lesen, dass der berühmte Wolfsjäger Jean-Charles Vaumesle d‹ Enneval mit seinen sechs Jagdhunden eigens aus der Normandie angereist sei und die Bestie bereits mehrmals aus der Ferne gesichtet hätte. Das gäbe Anlass zur Hoffnung, dass er sie bald mit Unterstützung von zahlreichen einheimischen und angereisten Helfern erlegen könnte. Da d ́ Enneval das Gebiet im Februar 1765 erreichte, wo er bis zum Sommer desselben Jahres mehrere Treibjagden organisierte, fällt die Entstehungszeit des Einblattdrucks vermutlich etwa in diesen Zeitraum, zumal die Höhe der Belohnung hier noch mit 6000 Livres angegeben wird.

    Der übrige Text und die bildliche Darstellung befassen sich vor allem mit der Heldentat des zwölfjährigen Jaques André Portefaix. Er hütete am 12. Januar 1765 zusammen mit vier weiteren Jungen und zwei Mägden Vieh, als die Gruppe von der Bestie angegriffen wurde. Die Kinder rückten eng zusammen und versuchten mit Stöcken, an deren Ende Metallklingen befestigt waren, auf das Tier einzustechen. Die Bestie zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt, umrundete die Gruppe mehrmals und stürzte sich schließlich auf den jüngsten. Der achtjährige Jean Veyrier wurde am Arm gepackt und in ein etwa 50 Meter entferntes Sumpfgebiet verschleppt.

    Während eines der zurückgebliebenen Kinder schon die Flucht ergreifen wollte, rief der zwölfjährige Portefaix ihnen zu, entweder den Kameraden zu befreien oder mit ihm umzukommen. Daraufhin nahmen die Kinder all ihren Mut zusammen. Sie folgten der Bestie in den Sumpf, wo sich das Tier nur schlecht bewegen und von ihnen gestellt werden konnte. Sie attackierten das Tier solange mit ihren Stöcken, bis es schließlich von dem nur leicht verletzten Jean abließ und flüchtete.

    Nachdem die Nachricht von der Rettung des Jungen den König erreicht hatte, erhielten die fünf tapferen Kinder großzügige Schenkungen. Außerdem wurde ihnen in Aussicht gestellt, in den Militärstand erhoben zu werden. Das von den Kindern in die Flucht geschlagene Raubtier wird im Titel beider Blätter als Hyäne oder Vielfraß bezeichnet. Solche oder andere nicht in Frankreich beheimatete Raubtiere könnten durchaus aus einem der damals beliebten privaten Zoos oder aus Schaustellerbetrieben entkommen sein.

    Allerdings wird in Fachkreisen derzeit die Annahme favorisiert, dass es sich um mehrere Wölfe oder Mischlinge aus Wölfen und Hunden gehandelt haben könnte. Eine andere Hypothese spricht sich für einen jungen männlichen Löwen aus. In Fernsehdokumentationen und Kinofilmen, die sich jedoch weit von den historischen Tatsachen entfernt haben, ist dagegen von einem Werwolf beziehungsweise von einem Serienmörder die Rede. Letztendlich wird die wahre Identität der Bestie wohl für immer ein ungelöstes Rätsel bleiben.

    Signaturen der Drucke: 19 B 10758 und 19 B 10767

    Literatur: Taake, Karl –Hans: Die Bestie des Gévaudan: Der verheerende Feldzug einer verschleppten Kreatur. Kindle Ausgabe, 2015.

    Matthias Hageböck Mitarbeiter der HAAB Bestandserhaltung/Restaurierung