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‹ alle Blogartikel anzeigen17. September, 2018 — Du hast den Farbfilm vergessen
Das Erinnern ist ein zentraler Begriff für jeden Historiker, wir diskutieren Erinnerungsorte, eine Erinnerungskultur, schafft Erinnern Heimat? In Bibliotheken stehen Millionen Bücher, die die neugierige Leserin, den neugierigen Leser an andere Bücher erinnern, die Erinnerungen evozieren oder auch Erinnerungen und damit Vergangenheit festhalten können. Gerade Bibliotheken mit historischer Ausrichtung bieten diverse Techniken gegen das Vergessen auf. Sammeln, katalogisieren, auffindbar machen, ausleihen.
Wenn ich nicht ganz konzentriert bin, summen gern mal Melodien in meinem Kopf. Mein Soundtrack zum Thema Erinnern ist: »Du hast den Farbfilm vergessen!« Diese furchtbare Vorstellung, man fährt in den Urlaub und das Erinnerungs-Instrument dokumentiert nur unzureichend.
In diesem Jahr habe ich die Musikmesse in Frankfurt genießen können. Musik ist ja eigentlich das Analogste, was man sich denken kann: In Frankfurt wurden Ukulelen und Digeridoos, Oboen und Riesen-Saxophone gezeigt, man bekam Schlüsselanhänger mit einer kleinen Akkordeon-Metallzunge geschenkt. Aber Stop! Da wurden doch auch Noten auf kleinen Bildschirmen angeboten, E-Scores. Analog zu den E-Books, die das Tolino bereithält. Also auch in der Musik schwirrt es schon von Instrumenten-Apps, elektronischen Lernsystemen und eben diesen E-Scores.
Nina Hagens Lied müsste heute einen neuen Text erhalten: Du hast Dein iPad vergessen! Oder schlimmer: Du hast Dein Smartphone vergessen! Die ganze Gegenwart, private Erinnerungen und die Zukunftsplanung stecken für viele heute in einer kleinen, flachen Kiste.
Und keiner scheint an die armen Historiker zu denken, die in 100 Jahren unsere schönen digitalen Dokumente vielleicht nicht mehr entziffern können, oder nur schwarz-weiß? Wer führt heute noch ein Gäste- oder Tagebuch, ein Stammbuch, eine Patientenkartei oder gar ein bibliothekarisches Ausleihjournal in Papierform?
Aber wer, wenn nicht die Bibliotheken sollten an ihre zukünftige Leserschaft denken? Und tatsächlich: Weltweit bemühen sich die Nationalbibliotheken, das Internet zu dokumentieren, Digitalisate dauerhaft zu speichern, Rechenzentren füllen ihre Festplatten mit digitalem Erinnern und vielleicht sogar mit diesen schicken E-Scores, Archive entwickeln Strategien für eine sinnvolle Auswahl digitaler Quellen für die dauerhafte Speicherung, eventuell auch auf einem ganz analogen Farbfilm.
Katharina Hofmann