Teil der Globensammlung der »Herzogin Anna-Amalia Bibliothek«

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  • 24. November, 2021 — Warum in die Ferne schweifen - Tagesausflug der GAAB nach Jena

    Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Unser Tagesausflug 2021 führte uns an die Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek in Jena. 21 Mitglieder der GAAB trafen sich im imposanten Foyer des inzwischen auch schon 20 Jahre alten Neubaus am Bibliotheksplatz. Der Leiter der Bibliothek Michael Lörzer hieß uns im Besprechungsraum mit Kaffee und Kuchen und herzlichen Worten willkommen. Er spannte einen Bogen von der Historie der Sammlung der ThULB bis zu ehrgeizigen digitalen Projekten, vom Service für Studierende bis zu landesbibliothekarischen Aufgaben. Anschließend machte uns Dr. Andreas Christoph in einem kurzweiligen Vortrag mit dem elektronischen Sammlungs-Portal Kulthura vertraut. Er demonstrierte virtuelle Darstellungen der Unigebäude und erklärte uns, wie schwierig die Digitalisierung musealer Objekte wie etwa der Weimarer Globen ist. Analog ging des weiter. Der Leiter der Handschriftenabteilung Dr. Joachim Ott zeigte uns die wertvolle noch aus Wittenberg stammende Sammlung Electoralis, die im 16. Jahrhundert den Grundstock der Jenaer Universitätsbibliothek bildete, und Handschriften und alte Drucke passend zum Jahresthema der Klassik Stiftung Weimar »Neue Natur« – z. B. die farbenprächtigen Schmetterlingsbilder von August Ferdinand Günther aus der Zeit vor 1845 und Kuriositäten-Darstellungen wie Kopffüßler und Kopfärmler aus einem Buch von Allessandro de Vecchi aus dem 17. Jahrhundert. Dr. Ott freute sich über die fachkundigen Fragen. Er genoss den Austausch und die Anregungen unsererseits. In der Restaurierungs-Abteilung zeigte uns deren Leiter Frank Schieferdecker Bücher, deren Granateneinschüsse beredte Zeugnisse der Bombardierung der Stadt sind. Nach dem Mittagessen ging es bei strahlendem Herbstwetter in den nahegelegenen Botanischen Garten. In zwei Kleingruppen geteilt besuchten wir die Räume mit dem Haußknechtschen Herbarium und den Botanischen Garten. Desiree Jakubka arbeitet im Projekt PhenObs, in dem Botanische Gärten weltweit Pflanzenreaktionen auf den Klimawandel dokumentieren. Anschaulich und begeistert berichtete sie über dieses Projekt und über die Geschichte des Universitäts-Gartens. Sie stellte Klimagewinner und Klimaverlierer aus der Pflanzenwelt vor. Großartig war auch der Besuch in den Räumen des Haußknechtschen Herbariums. Hier lagern rund 3,5 Millionen getrocknete Pflanzenteile. Die Sammlungskoordinatorin Kristin Viktor machte uns mit der Sammlungsgeschichte des Herbariums bekannt und ließ uns Beispiele aus Haußknechts eigener Sammlung sowie aus dem späteren 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart bewundern. Das Gute lag diesmal wirklich sehr nahe.

    Katharina Hofmann

  • 08. November, 2021 — Dante 2021 und kein Ende

    In diesem Jahr 2021 feiert ganz Italien mit unzähligen Ausstellungen und Tagungen das 700. Todesjahr des Nationaldichters und Vaters der italienischen Sprache: Dante Alighieri (1265-1321). Auch Weimar darf glücklich aufs Jubiläum und auch auf Dante schauen, da eine schöne Kolossalbüste des »Sommo Poeta« (Höchster Poet) auf dem Gelände der Galerie im Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu bewundern ist. Aber noch interessanter ist der Standort der Büste im Oval des Saales: Dante bildet den Gegenpol zum Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe.

    Wann und wie kam diese Dante-Büste nach Weimar? Wann und warum gelangte sie in ihre aktuelle Position? Für diese Fragen habe ich nur partiell Antworten. Desto wichtiger erscheint es mir, dieses Thema im Blog der GAAB für eine offene Diskussion zu präsentieren. Die erste Erwähnung unserer Büste findet sich im Tagebuch Goethes. Am 3. Dezember 1824 notiert der Dichter, wie »die kolossale Büste von Dante« ihm von Kanzler von Müller am Frauenplan vorgestellt wird. »Das neue Werk«, so Goethe im Gespräch mit Eckermann, war wahrscheinlich für die Bibliothek bestimmt, wo es am 25. Februar 1825 zusammen mit einem Kant-Porträt »auf der Bibliotheksgalerie angebracht« wurde (Dienst Diarium, a. d. Notiz von Theodor Kräuter). Ist die Ankunft »neuer« wichtiger Denker 1825 als Zuwachs des schon existierenden Pantheons im Rokokosaal zu verstehen, vielleicht für das in jenem Jahr geplante Fest für die 50 Dienstjahre des Staatsministers, das ausgerechnet in der Bibliothek sein Zentrum finden sollte? Möglich ist es, aber leider lässt es sich durch Quellen nicht bestätigen.

    Sicher ist aber, dass die Vorlage unserer Büste in Weimar tatsächlich aus einem Pantheon stammt, und zwar aus dem römischen Pantheon, für das der Bildhauer Antonio Canova eine Reihe Büsten bedeutender italienischer Dichter anfertigen ließ. Die Dante-Büste aus weißem Carrara-Marmor wurde 1813 von dem Schüler Canovas Alessandro d’Este (1783-1826) geschaffen. Zusammen mit anderen Porträtbüsten von italienischen Künstlern und Dichtern gelangte sie 1823 ins römische Kapitol, wo sie seitdem zwar die Sala della Promoteca Capitolina schmückt, bisher aber nicht das Interesse der Forschung wecken konnte. Auch unser Gipsabguss in Weimar scheint, einmal angekommen, jahrelang in der Galerie »vergessen« worden zu sein. Die kolossale Büste wurde von Ludwig Preller 1853 registriert (Verzeichniss der im Kunstcabinet auf der Grossherzoglichen Bibliothek befindlichen Gegenstände 1848-1853, S. 494, n.116) und von Carl Grosse in seinem Gedicht »Zur Erinnerung an die Grossherzogliche Bibliothek« (1859 und spätere Editionen) erwähnt, aber sie spielt keine Rolle in den Beschreibungen der Bibliothek von Adolf Stahr (Weimar und Jena, 1852) und Adolf Scholl (Weimar’s Merkwürdigkeiten, 1857). Die erste Erwähnung in der aktuellen höchsten Position und damit auch in einer komplett neuen Rolle geschieht im Jahr 1899 in einem Essay von Paul von Bojanowski »Die Großherzogliche Bibliothek in Weimar«. Hier wird »eine mit den Büsten Dantes und Goethes an den Schmalseiten geschmückte Galerie« beschrieben. Diese grandiose Inszenierung sehen wir noch heute: Goethe im Alter repräsentiert durch die kolossale Marmorbüste von Nikolaus Karl Eduard Launitz – ein Geschenk der Sammlerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen aus dem Jahr 1853 – schwebt als Schutzfigur und Stern der Bibliothek und Weimars über dem Ölgemälde von Herzog Carl August. Eine vor 1870 undenkbare Stelle! Und aus diesem Olymp schaut Goethe auf die kolossale Büste Dantes, Vorbild und Gleichgesinnter: Wie Goethe ist auch Dante Dichter und Politiker, Vater der Sprache und der Nation, Sinnbild einer ganzen Epoche, und beide sind die größten Vertreter der National- und Weltliteratur.

    Wer war wohl Regisseur dieser monumentalen Gegenüberstellung, die die damaligen Zeitgenossen sicher stark beeindruckt hat und die noch heute faszinieren kann? Vielleicht Paul von Bojanowski selbst, der 1874-1877 ein engagierter Politiker für die Nationaliberale Partei im Deutschen Reichstag und seit 1893 Direktor der Weimarer Bibliothek war. Es ist zumindest eine These, der man nachgehen sollte. Die Dante-Forschung bietet immer wieder Überraschungen. Sie geht auch in Weimar weiter.

    Francesca Müller-Fabbri

  • 18. Oktober, 2021 — Ein Jahr Volontärin in der HAAB

    • Im Büro

    Seit einem Jahr bin ich Weimarerin, studiere berufsbegleitend das Fach »Bibliotheks- und Informationswissenschaften«, die Hälfte des Volontariats ist vergangen und wie selbstverständlich laufe ich durch die historischen Räumlichkeiten genau wie durch das modern ausgestattete Tiefmagazin unter dem Platz der Demokratie, von dessen Existenz ich bei meinem ersten Besuch in Weimar nicht einmal ahnte und von dem ich heute umso freudiger jedem Familienbesuch beim obligatorischen Stadtrundgang erzähle.

    Verwunderlich ist es nicht, dass die Zeit scheinbar so rasend schnell vergeht, denn hier an der Bibliothek ist für mich kein Tag wie der andere. Als Volontärin absolviere ich eine zweijährige Ausbildung, die mich auf den Beruf der wissenschaftlichen Bibliothekarin vorbereiten soll. Die Aufgaben sind sehr vielseitig: Fachbücher erwerben, klassifizieren, in die bestehende Bücherordnung einfügen und damit die Forschungsliteratur immer auf dem neuesten Stand halten. Im ersten Jahr in der HAAB habe ich Einblick in die vier Abteilungen der Bibliothek erhalten: Medienbearbeitung, Benutzungsdienste, Bestandserhaltung und Digitalisierung. Überall wurde ich herzlich aufgenommen und immer wieder zum Nachfragen ermuntert. Mehr und mehr verstand ich Aufgaben und Zusammenhänge. Trotzdem fällt es mir bis heute schwer, auf Nachfrage bei Freunden und Familie zu beschreiben, was ich denn da nun eigentlich in dieser berühmten Bibliothek mache. Eine Frage, auf die meine Antwort jeden Tag anders lauten könnte. Wo fängt man da an zu erklären?

    Ich probiere es an dieser Stelle mal mit einem beispielhaften Einblick in einen – für Volontariatsverhältnisse – ganz normalen Tag:
    Dieser Arbeitstag beginnt um 10 Uhr am Mitarbeitereingang zum Studienzentrum. So nennt sich der Gebäudekomplex aus Stadtschlössern des 16. – 18. Jahrhunderts, in dessen Mitte sich der moderne Bücherkubus einfügt. Den beeindruckenden Neubau, dessen Architektur mich täglich wieder begeistert, durchquere ich in der morgendlichen Stille. Noch sind nur wenige frühe Leser da, die wie gewohnt ihre Tageszeitung in den gemütlichen Ledersesseln studieren. Oft finden hier abendliche Lesungen und Vorträge statt, die den Forschungscharakter der Bibliothek unterstreichen und für mich eine schöne Verbindung zwischen den historischen Büchern im unterirdischen Magazin und der aktuellen Forschung herstellen.

    Den Vormittag verbringe ich an diesem Tag an meinem Arbeitsplatz im kleinen Seitentrakt des sogenannten Roten Schlosses, quasi dem nördlichsten Ende des Studienzentrums. Zunächst beantworte ich einige E-Mails. Anschließend prüfe ich den Twitter-Kanal, der neuerdings zum Bereich der Öffentlichkeitsarbeit der Bibliothek gehört, auf Nachrichten. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist seit März dieses Jahres auch in diesem Medium unterwegs, um ihren »Followern« Einblicke in die Sammlungen und in bibliothekarische Arbeiten zu gewähren, von denen man sonst kaum etwas mitbekommt. Diese Vermittlungsarbeit macht mir sehr viel Spaß. Hier wird mein noch »frischer Blick« auf das Alltagsgeschäft geschätzt. Gleichzeitig lerne ich viel über die Sammlungen und in den regelmäßigen Treffen im Team mit dem Direktor noch so einiges über strategische Öffentlichkeitsarbeit. Mittlerweile ist es 10:50 Uhr. Um 11 Uhr bin ich zur Sacherschließung verabredet. In der HAAB wird noch jedes erworbene Buch in die Hand genommen, bevor es im Tiefmagazin oder im Freihandregal der Lesebereiche seinen Platz findet. Zusammen mit der Kollegin gehe ich Titel und Inhaltsverzeichnisse durch, versuche die treffendsten Schlagwörter zu finden und gebe den Büchern, die für den Freihandbereich – sozusagen das Selbstbedienungsregal – vorgesehen sind, die passende Signatur. Nur durch diese Arbeiten gelingt es, die Bücher so zu verzeichnen und aufzustellen, dass die Benutzer im Katalog oder beim Stöbern im Regal die benötigte Literatur zuverlässig finden können.

    Um 14 Uhr bin ich mit meiner Kollegin in ihrem Büro im historischen Bibliotheksgebäude verabredet. Deshalb überquere ich den Platz der Demokratie, unter dessen Kopfsteinpflaster sich das Tiefenmagazin befindet, in dem rund eine Million Bücher untergebracht sind. Vorbei an den Besuchern, die auf den Einlass in den berühmten Rokokosaal warten, erklimme ich die Treppen in den nicht öffentlich zugänglichen zweiten Stock und laufe unbemerkt über den Köpfen der Touristen hinweg auf die andere Gebäudeseite. Vorbei an Büsten und Büchern aus dem 19. Jahrhundert auf der ersten Galerie des Saals begebe ich mich auf die Nordseite in den sogenannten Goethe-Anbau. Dort erwarten mich meine Kollegin und eine Mitarbeiterin der Bibliothek, die gerade die Verwendung von Nanocellulose in der Papierrestaurierung erprobt. Meine Kollegin und ich sollen das Thema in einem Blogbeitrag der Bibliothek auch einem größeren öffentlichen Publikum verständlich machen, ohne durch Kürzen oder Umformulieren etwas Falsches zu transportieren. So lassen wir uns genau die Verfahren und biologischen Grundlagen erläutern, damit wir den Text gemeinsam mit der Autorin auf ein ausgewogenes Verhältnis von fachlicher Korrektheit und ansprechender Gestaltung bringen können. Auf dem Rückweg – es ist jetzt schon 16 Uhr – wieder vorbei an den Klassikern und durch die Regalreihen, die Goethe in seiner Zeit als Direktor hat aufstellen lassen, um die von ihm in Massen gekauften Bücher in dem begrenzten Raum unterbringen zu können, kann ich nicht anders, als mir selber dazu zu gratulieren, was für einen einzigartigen Arbeitsplatz ich ergattert habe. So vielfältig wie dieser kann doch kaum ein anderer Beruf sein. Und dabei ist der Tag noch nicht vorbei.

    Um 17 Uhr löse ich die Kollegin an der Ausleihtheke ab. Bis 20 Uhr gebe ich Auskünfte, nehme Bücherrückgaben an oder überreiche Lesern ihre Bestellungen. Besonders gerne erinnere ich mich an eine Benutzerin, die nach Literatur zum Thema »Kochen im 18. Jahrhundert« suchte. Gemeinsam fanden wir über den Online-Katalog die passenden Titel, von denen ich die vielversprechendsten gleich für den nächsten Tag bestellte. Ich spürte, wie glücklich die Leserin über meine Hilfe war, und mir war es eine Freude, ihr behilflich sein zu können. Ich freue mich sehr über diesen Kontakt zu unseren Lesern, bei dem auch kleine Hilfeleistungen mit großem Dank und oft sichtbarer Freude vergütet werden. Nach dem monatelangen Lockdown, in dem mir nicht nur der Kontakt zu den Kollegen, sondern auch der zu den Nutzern fehlte, war es umso schöner, Ende Mai endlich wieder an der Ausleihe arbeiten zu können und vor Augen geführt zu bekommen, für wen all die verschiedenen Arbeiten im Hintergrund eigentlich gemacht werden.
    Es gefällt mir auch, die oft zögerlich eintretenden touristischen Besucher willkommen zu heißen und sie einzuladen, das Erdgeschoss des Studienzentrums zu erkunden. Dass sie so ohne Weiteres eintreten dürfen, können viele kaum glauben und bedanken sich gleich mehrmals herzlich dafür.
    Dabei ist es für mich, wie für die vielen anderen Kollegen, selbstverständlich, diesen wunderschönen und ganz besonderen Ort mit ihnen zu teilen. Vielleicht wird mit jedem solcher Kontakte wie auch mit jedem gelesenen Tweet oder Blogbeitrag nach und nach verstanden: Die Bibliothek ist ein unheimlich vielseitiger Ort, an dem längst nicht mehr nur andächtiges Schweigen herrscht. Es entstehen zunehmend Plätze, an denen konzentriert gearbeitet, aber auch geredet und gelacht werden kann.

    Die Hälfte meines Volontariats in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek liegt hinter mir. Ab jetzt werde ich mich eigenständigen Projekten widmen und meine Abschlussarbeit für das Studium schreiben. Ich bin mir fast sicher, das zweite Jahr in Weimar wird noch schneller vorüberfliegen als das erste. Langweilig wird es bestimmt nicht!

    Johanna Seidt Volontärin in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • 17. September, 2021 — Historisches Reise-Schreibpult aus Eichenholz - Neu in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

    »Als Handgepäck dürfen nur kleine, leicht tragbare Gegenstände, die die Mitreisenden nicht belästigen« mitgeführt werden, heißt es im Band 13 von Brockhaus’ Konversations-Lexikon aus dem Jahr 1903 unter dem Stichwort »Reisegepäck« über das Reisen mit der Eisenbahn.

    Genau ein solches Reise-Schreibpult oder einen Reise-Sekretär konnte die Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf der 77. Auktion des Auktionshauses Zisska & Lacher im Juli 2021 erwerben. Das Schreibpult stammt vermutlich aus der Zeit um 1870. Es ist aus Eichenholz gefertigt und mit einem Furnier aus Nussbaum, Ahorn und Obsthölzern sowie mit Messingeinlagen versehen. In geschlossenem Zustand ist das Reise-Schreibpult so groß wie eine Aktentasche. Die Schreibplatte, die durch das Öffnen entsteht, ist angeschrägt und mit Leder bezogen. Die Platte kann an beiden Seiten angehoben werden und gibt zwei größere Geheimfächer frei. Ebenfalls vorhanden sind kleinere Fächer, in denen sich noch zwei gläserne Tintenfässer befinden.

    Solche Schreibpulte sind keineswegs selten und werden in beträchtlicher Zahl auf dem antiquarischen Markt angeboten. Das spricht für die große Verbreitung, die diese Reise-Sekretäre gerade im 19. Jahrhundert hatten. Schon 1820 ist in Krünitz› Ökonomischer Enzyklopädie nachzulesen: »Eine der nothwendigsten Reisegeräthe für den der Platz und Gelegenheit dazu hat, ist die Reiseschatoulle. Sie dient, die Kostbarkeiten, Ringe, Gelder, Wechsel ec. zu verwahren. Papier, Tinte, Feder, Siegellack, Visitenkarten ec. finden darin ihren Platz. […] Herr Blades zu London, Picadilly 177 hat eine neue Reiseschatoulle erfunden, Travelling-writing-desk, die sehr bequem eingerichtet ist, und eine Menge nützliche und nöthige Dinge enthält, und 6 Guinee kostet.«

    Einige Objekt-Beschreibungen antiquarischer Schreibpulte belegen, dass dieses Handgepäck auch auf Feldzügen zum Einsatz kam oder weite Reisen hinter sich hatte, wie z.B. das im Museumsdorf Cloppenburg aufbewahrte Schreibpult eines Kapitäns aus der Wesermarsch, dessen Hölzer auf eine Herkunft aus Indien schließen lassen. Doch auch für das Krankenlager war ein solches Reise-Schreibpult von großem Nutzen. Das Beethoven-Haus in Bonn zeigt auf seiner Website einen Reise-Sekretär, der direkt neben Beethovens Krankenlager stand und auf dem der Komponist sein Testament verfasst hat.

    Welche Geschichte sich hinter dem neu erworbenen Reise-Schreibpult verbirgt, ist leider nicht bekannt. Aber es erzählt doch etwas von der Geschichte des Reisens. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek widmet dem Thema Reisen im nächsten Jahr eine Ausstellung im Studienzentrum. Neben vielen anderen spannenden Objekten, wie z. B. verschiedenen Reise-Bibliotheken, wird dann auch das jüngst erworbene Reise-Schreibpult zu sehen sein.

    Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • 29. August, 2021 — Ein Freundschaftsalbum über eine ganz besondere Hochzeitsreise im Jahre 1857. Neuerwerbung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar

    Zur Erinnerung an unsere Hochzeitsreise, als Zeichen, daß wir deiner gedachten, nimm dies Büchlein, als ein Pfand unserer innigsten Liebe.
    den 24. Dezember 1857 Auguste Kochhann, geb. Hoffmeister

    Diese Zeilen finden sich auf der ersten Seite eines kleinen Buches, dass die Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf der diesjährigen Stuttgarter Antiquariatsmesse erworben hat. Das Buch im roten Halblederband mit reicher Gold- und Blindprägung und dreiseitigem Goldschnitt ist gerade einmal 10cm x 16,5 cm groß. Es hat die Form eines Freundschaftsalbums und war offenbar auch als solches gedacht. Der Widmung nach zu schließen, haben es die frisch Vermählten auf ihrer Hochzeitsreise für einen Freund gefüllt »als Zeichen, daß wir deiner gedachten«. Wer dieser jemand gewesen ist, darüber gibt das Buch leider keine Auskunft. Das Geschenk wurde offenbar zu Weihnachten 1857 überreicht.

    Johanne Auguste Hoffmeister war gerade 21 Jahre, als sie den 27-jährigen Kaufmann Emil Heinrich Kochhann in Berlin heiratete. Sie stammte ursprünglich aus der wendischen Lausitz. Kochhanns Familie war 1732 nach Berlin gekommen, wo sie zunächst als Bäcker arbeitete und sich zunehmend auch in der Kommunalpolitik engagierte. Kochhahn selbst war Mitglied des Reichstages und später ehrenamtlicher Berliner Stadtrat.

    Das Besondere an diesem Freundschaftsalbum ist, dass Auguste und Emil Heinrich Kochhahn es nicht nur mit Gedichten und Texten von Schiller, Eichendorff, Lenau, Schilling, Hoffmann von Fallersleben und anderen Dichtern füllten. Zwischen diesen Seiten finden sich auch Blüten, Moose, Farne und Blätter von den Orten, die sie auf ihrer Reise besuchten. Dank kleiner Notizen am Rand kann man noch heute nachvollziehen, wann und wo sie die Pflanzen gepflückt haben.

    Die Reise ging über die Schweiz nach Italien. Die erste Station führte in den Schwarzwald. Auf der »Fahrt durch das Höllenthal« sammelten sie die ersten Pflanzen und klebten sie in ihr Buch. Weiter ging es zum »Rheinfall bei Schaffhausen« und von dort nach Zürich. Den Farnen vom Vierwaldstättersee folgt ein Auszug aus der ersten Szene des ersten Aktes von Schillers Wilhelm Tell, der am »Hohe[n] Felsenufer des Vierwaldstättensees« beginnt. Zitiert ist das Lied des Fischerknaben: »Es lächelt der See, er ladet zum Bade, / Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, / Da hört er ein Klingen, / Wie Flöten so süß, / Wie Stimmen der Engel / Im Paradies […]«. Daneben steht das Lied des Hirten und zwei Blatt weiter das Lied des Alpenjägers.

    Ein Blumenzweig aus Interlaken, Moos und Blätterstengel mit kleinen Blüten aus Vevey und Montreaux sowie Pflanzen aus Lausanne, gepflückt »an einem herrlichen Sonntagmorgen«, geben einen Einblick von ihrer weiteren Reise durch die Schweiz. Dem Ausflug zum Schloss Hauteville bei Vevey »gepflückt an einem schönen Abende« wird eine eigene Seite gewidmet mit einer wunderschönen großen Blüte und einem zierlich verästelten Blatt.

    Von der Schweiz aus kommen Auguste und Emil Heinrich Kochhann nach Italien. Der »Eintritt in Italien« wird mit einem Blumenzweig dokumentiert. An die Reise von Domodossola zum Lago Maggiore erinnert ein Kleeblatt und ein Farn: »Zur Erinnerung an das schöne Thal von Domo Dossola als wir im Vollmondschein an den Lago maggiore [!] kamen.« Diesem Eintrag folgt das berühmte Gedicht Mondnacht von Eichendorff: »Es war, als hätt‹ der Himmel / Die Erde still geküßt, / Daß sie im Blüthenschimmer / Von ihm nun träumen müßt.« Am Lago Maggiore besuchen sie auch die Isola Bella, von wo sie einen Zweig mitnehmen, und kommen schließlich an den Comer See, wo sie »in seinen herrlichen Villen« einen Farn pflücken. Das ist der letzte Eintrag in diesem ganz besonderen Hochzeitsreisetagebuch.

    Der Link zum Digitalisat: https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:32-1-10034568487

    Claudia Streim Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Herzogin Anna Amalia Bibliothek