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‹ alle Blogartikel anzeigen08. November, 2021 — Dante 2021 und kein Ende
In diesem Jahr 2021 feiert ganz Italien mit unzähligen Ausstellungen und Tagungen das 700. Todesjahr des Nationaldichters und Vaters der italienischen Sprache: Dante Alighieri (1265-1321). Auch Weimar darf glücklich aufs Jubiläum und auch auf Dante schauen, da eine schöne Kolossalbüste des »Sommo Poeta« (Höchster Poet) auf dem Gelände der Galerie im Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu bewundern ist. Aber noch interessanter ist der Standort der Büste im Oval des Saales: Dante bildet den Gegenpol zum Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe.
Wann und wie kam diese Dante-Büste nach Weimar? Wann und warum gelangte sie in ihre aktuelle Position? Für diese Fragen habe ich nur partiell Antworten. Desto wichtiger erscheint es mir, dieses Thema im Blog der GAAB für eine offene Diskussion zu präsentieren. Die erste Erwähnung unserer Büste findet sich im Tagebuch Goethes. Am 3. Dezember 1824 notiert der Dichter, wie »die kolossale Büste von Dante« ihm von Kanzler von Müller am Frauenplan vorgestellt wird. »Das neue Werk«, so Goethe im Gespräch mit Eckermann, war wahrscheinlich für die Bibliothek bestimmt, wo es am 25. Februar 1825 zusammen mit einem Kant-Porträt »auf der Bibliotheksgalerie angebracht« wurde (Dienst Diarium, a. d. Notiz von Theodor Kräuter). Ist die Ankunft »neuer« wichtiger Denker 1825 als Zuwachs des schon existierenden Pantheons im Rokokosaal zu verstehen, vielleicht für das in jenem Jahr geplante Fest für die 50 Dienstjahre des Staatsministers, das ausgerechnet in der Bibliothek sein Zentrum finden sollte? Möglich ist es, aber leider lässt es sich durch Quellen nicht bestätigen.
Sicher ist aber, dass die Vorlage unserer Büste in Weimar tatsächlich aus einem Pantheon stammt, und zwar aus dem römischen Pantheon, für das der Bildhauer Antonio Canova eine Reihe Büsten bedeutender italienischer Dichter anfertigen ließ. Die Dante-Büste aus weißem Carrara-Marmor wurde 1813 von dem Schüler Canovas Alessandro d’Este (1783-1826) geschaffen. Zusammen mit anderen Porträtbüsten von italienischen Künstlern und Dichtern gelangte sie 1823 ins römische Kapitol, wo sie seitdem zwar die Sala della Promoteca Capitolina schmückt, bisher aber nicht das Interesse der Forschung wecken konnte. Auch unser Gipsabguss in Weimar scheint, einmal angekommen, jahrelang in der Galerie »vergessen« worden zu sein. Die kolossale Büste wurde von Ludwig Preller 1853 registriert (Verzeichniss der im Kunstcabinet auf der Grossherzoglichen Bibliothek befindlichen Gegenstände 1848-1853, S. 494, n.116) und von Carl Grosse in seinem Gedicht »Zur Erinnerung an die Grossherzogliche Bibliothek« (1859 und spätere Editionen) erwähnt, aber sie spielt keine Rolle in den Beschreibungen der Bibliothek von Adolf Stahr (Weimar und Jena, 1852) und Adolf Scholl (Weimar’s Merkwürdigkeiten, 1857). Die erste Erwähnung in der aktuellen höchsten Position und damit auch in einer komplett neuen Rolle geschieht im Jahr 1899 in einem Essay von Paul von Bojanowski »Die Großherzogliche Bibliothek in Weimar«. Hier wird »eine mit den Büsten Dantes und Goethes an den Schmalseiten geschmückte Galerie« beschrieben. Diese grandiose Inszenierung sehen wir noch heute: Goethe im Alter repräsentiert durch die kolossale Marmorbüste von Nikolaus Karl Eduard Launitz – ein Geschenk der Sammlerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen aus dem Jahr 1853 – schwebt als Schutzfigur und Stern der Bibliothek und Weimars über dem Ölgemälde von Herzog Carl August. Eine vor 1870 undenkbare Stelle! Und aus diesem Olymp schaut Goethe auf die kolossale Büste Dantes, Vorbild und Gleichgesinnter: Wie Goethe ist auch Dante Dichter und Politiker, Vater der Sprache und der Nation, Sinnbild einer ganzen Epoche, und beide sind die größten Vertreter der National- und Weltliteratur.
Wer war wohl Regisseur dieser monumentalen Gegenüberstellung, die die damaligen Zeitgenossen sicher stark beeindruckt hat und die noch heute faszinieren kann? Vielleicht Paul von Bojanowski selbst, der 1874-1877 ein engagierter Politiker für die Nationaliberale Partei im Deutschen Reichstag und seit 1893 Direktor der Weimarer Bibliothek war. Es ist zumindest eine These, der man nachgehen sollte. Die Dante-Forschung bietet immer wieder Überraschungen. Sie geht auch in Weimar weiter.
Francesca Müller-Fabbri